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"Finanzmärkte gedanklich bereits
in der Nach-Corona-Zeit"

DekaBank-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater mit der Vorsitzenden des Netzwerks Wirtschaft, Sabine Fremerey-Warnecke, beim Online-Treffen des Netzwerks zum Thema „Auf dem Wege der Besserung? Corona und die Wirtschaft“

An Superlativen mangelte es nicht im Vortrag von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, beim virtuellen Treffen des Netzwerks Wirtschaft des Regionalmanagements Mittelhessen in Kooperation mit den Sparkassen in Mittelhessen am Donnerstag: Als „schwerste Wirtschaftskontraktion der Geschichte“ bezeichnete Kater die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland – nur vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dennoch überwogen in Katers Impulsreferat unter dem Titel „Auf dem Wege der Besserung? Corona und die Wirtschaft“ die positiven Aspekte und der Ausblick auf künftige Herausforderungen jenseits der Covid-19-Pandemie: „Die Finanzmärkte sind gedanklich bereits in der Nach-Corona-Zeit.“

Bei dem Treffen, bei dem der Vorsitzende des Netzwerk-Trägers Mittelhessen e.V., Dr. Christoph Ullrich, und Netzwerk-Vorsitzende Sabine Fremerey-Warnecke die Mitglieder begrüßte, zog Kater einen maritimen Vergleich heran, um die Situation zu schildern: So verhalte sich die Volkswirtschaft in Deutschland, die sonst träge „wie ein Tanker“ sei, in dieser Krise agil „wie ein Motorboot“. Der Corona-bedingte Abschwung, der „größte Wirtschaftsrückgang in Friedenszeiten“, sei nicht nur eine der schwersten, sondern auch eine der kürzesten in der Geschichte. Ende 2020 habe das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der meisten Industrieländer auf 94 bis 98 Prozent des Vorkrisen-Niveaus gelegen.

„Selbsterfüllende Abwärtsspirale“ größte Gefahr

Die größte Gefahr für die Weltwirtschaft habe nicht durch den eigentlichen Anlass, dem Virus, bestanden, sondern durch eine „selbsterfüllende Abwärtsspirale“, betonte der promovierte Volkswirt. Ein solcher „Schneeball-Effekt“, angetrieben durch Massenentlassungen und Rückgang des Konsums, „musste energisch verhindert werden.“ Dies sei „voll und ganz“ erreicht worden – in Deutschland unter anderem „eher lautlos“ durch die Regelungen zur Kurzarbeit; in anderen Ländern auch durch breit angelegte Unterstützungsmaßnahmen, die insgesamt „das größte Stabilisierungsprogramm in der Wirtschaftsgeschichte“ gebildet hätten. So konnte die Nachfrage nach Gütern und der Konsum der privaten Haushalte sogar zulegen, auch angetrieben durch geringere private Ausgaben für Dienstleistungen zum Beispiel im Tourismus-Bereich. Hessen habe im 1. Halbjahr 2020 den BIP-Einbruch besser verkraftet als der Durchschnitt – ein Beispiel dafür, dass sich der Industriesektor „als extrem flexibel“ erwiesen habe.

Die unterschiedlichen Strategien zur Corona-Bekämpfung der einzelnen Staaten hätten dabei nur unwesentlich Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen gehabt, sagte Kater – mit wenigen Ausnahmen. So seien China und Taiwan deutlich besser durch die Krise gekommen, während zum Beispiel das Vereinigte Königreich einen der schwersten Wirtschaftseinbrüche aller Nationen zu verzeichnen hatte. Durch die hierzulande eher schleppend verlaufende Impfkampagne werde die Volkswirtschaft insgesamt nicht zurückgeworfen; hauptsächliche betroffene Branchen, wie Einzelhandel, Tourismus oder der Veranstaltungsbereich machten fünf bis sechs Prozent aus; das sei kein Abbild der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Allerdings attestierte Kater dem nicht gerade vorbildlichen Impfgeschehen einen negativen Einfluss auf das Image Deutschlands als zuverlässigen Standort in Dingen der Organisation.

Kater: Technologie wird der treibende Faktor sein

Womit Kater bei den Herausforderungen der Nach-Corona-Zeit ankam. Der Rückgang des Anteils der Automobilindustrie am deutschen BIP wie auch der Maschinenbau werden seiner Meinung nach Themen sein. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei Corona als eingrenzbares Ereignis zu sehen, sagte er und zog einen Vergleich mit der Spanischen Grippe: Nach deren Bewältigung habe man pandemiebedingte Themen schnell vergessen wollen. Mit zwei Prozent bezifferte der Experte den Wohlstandverlust – „verglichen mit einer Welt ohne den Virus“. In fünf Jahren sei dieser vermutlich nicht mehr spürbar. Technologie werde dagegen der treibende Faktor beim Wachstum sein: „Das wird uns nach Corona schnell einholen“ – neben den Themen Nachhaltigkeit und demografische Entwicklung. Der „unglaubliche technologische Wandel“ bilde dabei den größten Trend. Die Aktienkurse befänden sich bereits seit vergangenem Frühjahr wieder auf Wachstumskurs.  

Auch zum Thema Schulden und Inflation gab Kater seine Einschätzung wieder: Die Kreditaufnahme in Folge der Corona-Programme hält er für nicht weiter gefährlich. „Es gibt eine weite Spanne von Tragfähigkeit bei Staatsschulden.“ Eine Quote von 100 Prozent des BIP sei vertretbar; die der USA liege jetzt bereits bei 120 Prozent. Es sei allerdings „ein mittelfristiges Thema“, weil hoch verschuldete Staaten künftig weniger Spielraum hätten, in vergleichbaren Situationen Maßnahmen zu ergreifen. „Es gibt Grenzen.“ Mit einer dauerhaft höheren Inflation, die im vergangenen Jahr nur kurzfristig über drei Prozent gelegen habe, rechnet der 56-Jährige erst in den Jahren nach 2030, wenn vor allem die demografische Entwicklung verstärkt ihre Spuren hinterlasse.

In der sich dem Vortrag anschließenden Fragerunde ging Kater unter anderem auch auf die Bedeutung von Startups für die wirtschaftliche Entwicklung der Region ein; Hintergrund einer dementsprechenden Frage war die anstehende Gründung eines Business-Angel-Vereins in Mittelhessen. Die Bereitschaft, Risiken zu übernehmen, sei in Deutschland unterentwickelt – was zur Folge habe, dass vielversprechende deutsche Startups ihre Finanzierung oft aus den USA erhielten, um dann mit ihren Zentralen auch dorthin abzuwandern. „Da tut der Staat zu wenig“, machte Kater deutlich.