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Teilzeitausbildung in der
mittelhessischen Praxis

Teilzeitausbildung in der mittelhessischen Praxis: Anita Herrmann (links) in ihrem Laden in Hadamar mit Teilzeitauszubildender Christina Perea

Arbeitskreis "Neue Wege in der Fachkräftesicherung" will verborgene Potenziale für den Arbeitsmarkt sichtbar machen

Oft sind es die so genannten Soft-Skills wie Organisationstalent und Flexibilität, mit denen Auszubildende ihre Chefs überzeugen. Alltagsfähigkeiten, die alleinerziehende Eltern haben und mit denen sie viele Betriebe bereichern würden – wenn sie sich denn qualifizieren könnten. Der Arbeitskreis „Neue Wege zur Fachkräftesicherung“ im Netzwerk Bildung des Regionalmanagements Mittelhessen propagiert daher die Teilzeitausbildung – eine Chance für Berufsaspiranten, die aus familiären Gründen nicht in der Lage sind, die ganze Woche in Betrieb und Berufsschule zu verbringen. Allerdings werden von zurzeit rund 9000 Ausbildungsverträgen im Bereich der Handwerkskammer (HWK) Wiesbaden nur etwa 30 in Teilzeit ausgeführt, wie Manfred Weber, stellvertretender Leiter der HWK-Geschäftsstelle Mittelhessen jetzt bei einem Ortstermin in Hadamar feststellt: „Viele Unternehmen wissen nicht, dass es diese Möglichkeit im Spektrum der Ausbildungsangebote gibt.“ Dabei zeigt die Praxis die Vorteile für beide Seiten.

Gemeinsam mit der Diplompädagogin Ilka Benner von der Professur für Berufspädagogik und Arbeitslehre der Justus-Liebig-Universität Gießen, die bereits vor einigen Jahren im Projekt MOSAIK Transfer „Kompetenzentwicklung für junge Mütter“ zum Thema forschte, besucht Weber das Fachgeschäft für Deko- und Geschenkartikeln von Anita Herrmann in Hadamar. Dort werden nicht nur Präsente verkauft und verpackt, sondern auch die dazugehörigen Veranstaltungen geplant und durchgeführt – und dies mit Unterstützung einer Teilzeitauszubildenden: Christina Perea hat sich und ihre drei Kinder vor ihrem Einstieg bei „AH Geschenke“ vor allem mit Aushilfs- und Minijobs über Wasser gehalten – bis sie erkannte, „das bringt mich nicht weiter“. Dann habe sie sich entschlossen, „alles auf eine Karte“ zu setzen, erzählt die 38-Jährige. Was dann kam, ist eine Erfolgsgeschichte.

Auch für Herrmann war es zunächst wie „ein Sprung ins kalte Wasser“, denn „eine Auszubildende wollte ich mir eigentlich nicht antun“, sagt sie. Aber „bei jemandem wie Frau Perea würde ich das immer wieder tun“, fügt sie hinzu. Die Industrie- und Handelskammer zeigte sich beim Ausbilder-Schein für die Ausbildung zur Verkäuferin nachgiebig, als Perea im Sommer 2015 bei ihr anfing. „Da war die Bürokratie mal flexibel.“ Was die Geschäftsfrau an der 38-Jährigen vor allem überzeugte, waren die Qualitäten, die sie auch als Mutter von drei Kindern erworben hat: „Engagement und Lebenserfahrung“. „Wer drei Kinder hat, kann organisieren und muss flexibel sein.“ Mittlerweile vertritt die Auszubildende die Chefin auch bei Terminen. Ein wenig schließt sich für Anita Herrmann damit ein Kreis: Vor ihrer Selbstständigkeit habe sie selber „viele Steine aus dem Weg räumen müssen“.

In der Praxis sieht Christina Pereas Teilzeit-Engagement so aus: 25 Stunden in der Woche verbringt sie mit ihrer Ausbildung, davon insgesamt 16 alle zwei Wochen in der Berufsschule. Obwohl ihre Mitschüler meist im Alter ihres Sohnes seien, habe man sie dort „top“ aufgenommen, berichtet sie: „Ich habe einfach meine Geschichte erzählt, die meisten begegneten mir darauf mit Hochachtung.“ Ihren Weg zu Herrmanns Geschäft fand die gebürtige Limburgerin über einen sechsmonatigen „Warm-up“-Lehrgang für alleinerziehende Mütter, die eine Ausbildung machen wollen – durchgeführt vom Job-Center Limburg-Weilburg. Erst ganz zum Schluss fand sie das Praktikum bei Anita Herrmann, „ich hatte mich schon damit abgefunden, nicht unterzukommen.“

Trotz aller Vorbereitung und dem letztlich guten Ausgang war die Ausbildung zunächst eine Herausforderung – vor allem wegen Problemen bei der Kinderbetreuung. „Hätte ich nicht eine so tolle Chefin, hätte ich das schon abgebrochen.“ Vor allem in den Ferien sei es schwer, eine erschwingliche Betreuung zu organisieren. Unflexibel bei der Belegung von Pereas Schulstunden habe sich auch die Berufsschule gezeigt, mit Hinweis auf „betriebliche Abläufe“. Schwierigkeiten bei der Nachwuchsbetreuung waren auch im Forschungsprojekt MOSAIK Transfer eine häufige Klage. Nach anfänglicher Skepsis hätten in den untersuchten Betrieben aber die „hohen Organisations- und Netzwerkkompetenzen“ der Mütter überzeugt. „Alle Frauen haben das als Chance begriffen.“

Solche Kompetenzen sind es auch, die der Arbeitskreis „Neue Wege in der Fachkräftesicherung“ für den mittelhessischen Arbeitsmarkt bewahren will, sagt Weber, der ebenso wie Ilka Benner Mitglied in dem Gremium ist. Und: „Wir wollen das gute Beispiel in die Fläche tragen“, fügt Benner hinzu – auch um das „Potenzial derjenigen sichtbar zu machen, die im Verborgenen sind“. Rund die Hälfte der zurzeit noch wenigen Teilzeitausbildungen im Kammerbezirk gibt es laut Weber übrigens in Mittelhessen.

Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es hier.