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4. Mittelhessisches
Bildungsforum mit Forderungen

Maler-Auszubildender Abderizak Ahmad im Gespräch mit Moderator Carsten Jens, Karsten Beer (GWAB mbH), Annette Greilich (Friedrich-Feld-Schule Gießen) und Dr. Stephan Hocks (Justus-Liebig-Universität Gießen, Refugee Law Clinic) (von links).

Mittelhessen spricht sich für eine Perspektive für Flüchtlinge durch Bildung aus
Bildungsforum „Integration in Arbeit und Ausbildung“ mit konkreten Forderungen

Um sich über die „Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung“ auszutauschen, hatte das Netzwerk Bildung im Regionalmanagement Mittelhessen am 4. November 2015 ins Kinopolis Gießen geladen. Über 120 Personen waren zum 4. „Mittelhessischen Bildungsforum“ gekommen, um mit Experten und Betroffenen über das brandaktuelle Thema zu sprechen und gute Beispiele aus der Praxis kennen zu lernen. Als Einstieg schilderten fünf Schüler der Friedrich-Feld-Schule Gießen ihre Schicksale: sie waren aus Afrika, Syrien und Afghanistan geflohen und lernen nun in Partnerschaft mit Schülern der 13. Klasse, die auch als Übersetzer dienten, deutsch.

4. Mittelhessisches Bildungsforum im Kinopolis

Schulleiterin Annette Greilich verdeutlichte den Nutzen: „Das ist nicht unbedingt die Sprache aus dem Lehrbuch, aber danach können sie sich wirklich verständigen!“ Greilich bat sehr nachdrücklich darum, umgehend die Beschulung auch über 18-Jähriger zu ermöglichen: „Oft jahrelang auf der Flucht stehen sie bei uns im Sekretariat und sagen „Ich Schule!“ Wir müssen hier die bürokratischen Hürden senken!“
Praxis stand weiter im Vordergrund des Bildungsforums, in dem Karsten Beer von der GWAB mbH das Programm „Chance Arbeitsmarkt – Ein Projekt mit Flüchtlingen“ der Landkreise Lahn-Dill und Limburg-Weilburg vorstellte. „Auf der Grundlage der Erfahrungen, die wir mit dem Pilotprojekt des größten Arbeitgebers Mittelhessens, der Friedhelm Loh Group, sammeln konnten, wird die kreiseigene Beschäftigungsgesellschaft ab sofort Potentiale ausloten, Talente fördern und Qualifizierungen mit Flüchtlingen durchführen. Weitere Unternehmen können sich beteiligen und dem guten Beispiel folgen.“
Das Wort „Bleibeperspektive“ fiel öfters, Dr. Stephan Hocks von der Justus-Liebig-Universität Gießen berät zusammen mit mittelhessischen Studierenden Flüchtlinge in der so genannten Refugee Law Clinic. „Inzwischen sind das nicht nur Jura-Studierende, sondern auch Psychologen und Konfliktforscher“, berichtete der Rechtsanwalt. Das Angebot, mit dem die geschulten Studierenden zugleich Praxis-Erfahrungen sammeln können, soll auf weitere Standorte der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung ausgeweitet werden.

Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich berichtete von den Zahlen, mit denen es die Mitarbeiter seiner Verwaltung zu tun haben. 2007 waren insgesamt 774 Flüchtlinge in Hessen geblieben. Allein von Dienstag auf Mittwoch seien 955 Menschen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung angekommen. Burghard Loewe von der IHK Lahn-Dill und Björn Hendrischke von der Kreishandwerkerschaft Gießen zeigten mit Angelika Berbuir von der Agentur für Arbeit Limburg-Wetzlar als Experten, wo den Unternehmen bei der Aufnahme der sehr unterschiedlich ausgebildeten Kräfte der Schuh drückt: „Wer eine Maschine bedient, muss die Sicherheitshinweise verstehen“, fasste Hendrischke die zentrale Forderung nach mehr Deutschkursen für die potentiellen Fachkräfte zusammen.

Abderizak Ahmad hatte sechs Jahre vergeblich versucht, Arbeit zu finden, inzwischen ist er Auszubildender zum Maler und Lackierer in Butzbach und schilderte im Gespräch mit Moderator Carsten Jens vom Hessischen Rundfunk sehr plastisch seine Schwierigkeiten auf diesem Weg. Eine ganz andere Perspektive vermittelte Bayran Achmed mit seinem „Lied für Kobane". Gemeinsam mit dem Wetzlarer Musiker Marco Henrich und einer syrischen Gruppe hat er die Gräueltaten in seiner Heimatstadt, aber auch die Hoffnung auf eine Zukunft vertont und zeigte das bewegende Video dazu auf der großen Kinoleinwand.

Jo Dreiseitel, Staatssekretär und Bevollmächtigter für Integration und Antidiskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration stellte die Initiativen Hessen vor und lobte die Aktivitäten auf mittelhessischer Ebene: „Sie können damit Vorbild für andere sein.“ Dr. Martin Pott, Vorsitzender des Netzwerks Bildung, dessen Arbeitskreis die Veranstaltung konzipiert hatte, stellte schließlich die Forderungen zur Sprachförderung, Berufsorientierung und zu den Voraussetzungen für die heimische Wirtschaft in Appell-Form vor:

Der Mittelhessen-Appell zum Download (PDF, 213 KByte)

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„Für Mittelhessen ist die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung, Studium und Arbeit nicht nur eine gewaltige Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Viele Flüchtlinge bringen Talent, Motivation und Leistungskraft mit. Vor allem die ausbildenden Unternehmen aus Handwerk und Industrie können Praktika und Lehrstellen bieten. Wichtig für die Betriebe ist aber Rechtssicherheit. Eine schnelle rechtliche Klärung des Aufenthaltsstatus ist nötig. Und es muss eine Perspektive da sein, nach drei Jahren Berufsausbildung muss eine Weiterbeschäftigung für mindestens zwei Jahre möglich sein. Für die Integration in Ausbildung ist das rechtzeitige Erlernen der deutschen Sprache entscheidend. In den Schulen und Berufsschulen müssen auch über 18-jährige Flüchtlinge Unterricht erhalten können. Denn oft sind an einer Ausbildung Interessierte durch die lange Flucht schon älter und fallen so durch das Förderraster. Und schließlich: Aus ihren Herkunftsländern her kennen viele das erfolgreiche System der dualen Berufsausbildung nicht und sehen entsprechend dort nicht den Weg erfolgreicher Integration. In den Integrationskursen müssen also neben Landeskunde auch Informationen dazu eingebaut werden. Unser Fazit der Veranstaltung: Mittelhessen ist stark in Bildung. Bildung ist ein Schlüssel zur Integration. Also kann Mittelhessen auch stark in der Integration sein. Davon sind wir überzeugt."

Jens Ihle, der Geschäftsführer des Regionalmanagements, hofft auf viele positive Effekte des Bildungsforums für Mittelhessen: „Über die Bewältigung der größten Flüchtlingswelle seit dem zweiten Weltkrieg hinaus brauchen wir Perspektiven der Integration. Ich glaube, dass wir durch die gemachten Erfahrungen gut voneinander lernen können. Am Ende profitieren alle davon!“